HAZ „LADEN-ZEILEN“ 2003
Veröffentlicht am 14.08.2003Es gibt Läden, die kennt jeder im Stadtteil.
In einer Serie stellt der Stadt-Anzeiger alteingesessene Geschäfte aus Oststadt und List vor.
In dieser Woche porträtieren unsere „LADEN-ZEILEN“ das Blumengeschäft Wiesing an der Bödekerstraße.
Ein Schwimmbad wird zur Rosenlaube
Die Geschichte
Ohne frische Blumen ist das Eckhaus Bödekerstraße / Fundstraße gar nicht denkbar. Schon bevor Ilse und Friedrich Wiesing das Blumengeschäft im Erdgeschoss 1940 übernahmen, war der Eckladen eine gute Adresse für blumige Geschenke. Bereits die Tochter des Erbauers hatte dort seit 1898 Blumen verkauft. Als das junge Paar, sie Blumenbindemeisterin und er Gärtner, den Namen Wiesing über das Schaufenster schrieben, begann aber erst einmal eine harte Zeit. Ilse Wiesing, die noch heute dann und wann im Familienbetrieb zu sehen ist, musste das Geschäft lange allein führen, 1942 sogar schließen und auf Anordnung der Nationalsozialisten in der Munitionsfabrik arbeiten – glücklicherweise nur für sechs Wochen.
Danach konnte man sie wieder vor Sonnenaufgang zum Großmarkt in die Markthalle radeln sehen, um Ware zu kaufen. Purer Luxus waren Blumen damals, und es gab weder viele zu kaufen noch zu verkaufen. Als 1943 bei einem großen Luftangriff das Haus so stark beschädigt wurde, dass die Balkone abfielen, reparierte Ilse Wiesing die Schaufenster mit Pappe und nahm auch in Kauf, dass die Leihbücherei die Hälfte des Ladens in Beschlag nahm. Und nicht nur das – die Blumenbindemeisterin bot auch noch der ausgebombten Drogerie Obdach. Es war ein Glück, dass Ehemann Friedrich bereits im Sommer 1945 aus Russland zurückkam. So konnte sich Ilse Wiesing wieder ganz der Kundenbetreuung widmen, während ihr Mann in der Wohnung darüber die Buchführung machte und ein Grundstück in Bennigsen am Deister bestellte, um Blumen in Freilandkultur zu ziehen.
Die Geschäfte
Den Bezug zur Blume in ihrer natürlichen und zeitlichen Umgebung hält die Familie Wiesing bis heute hoch – nicht nur, weil Fritz Wiesing, der Sohn von Ilse und Friedrich, bis heute regelmäßig nach Bennigsen fährt, um das Grundstück zu bestellen und Blumen und frisches Grün ins Geschäft zu bringen. „Wir wollen den jahreszeitlichen Wechsel auch im Laden darstellen, Sonnenblumen im Winter lehnen wir ab“, erläutert Helga Wiesing, die seit 1963 zur Familie gehört und ebenfalls Blumenbindemeisterin ist. Auf einem Floristenball sind sie und Fritz sich nähergekommen, nachdem sie bereits einige Jahre im Betrieb mitgearbeitet hatte.
„Blumen in ihrer Natürlichkeit anspruchsvoll gestalten“, so lautet das Motto der Wiesings. Allzu exotische Blüten, vor allem aber gefärbte und gespritzte Ware kommen der Floristenfamilie nicht ins Haus. Daher tragen viele Blumen das sogenannte Flowerlabel; das bedeutet, dass sie aus menschen- und umweltschonenderer Produktion kommen. Gegen exotische Ideen haben die Wiesings allerdings nichts einzuwenden. Einmal verwandelten sie für eine goldene Hochzeit ein ganzes Schwimmbad in eine Rosenlaube mit Tanzfläche. Ein anderes Mal bekam eine Dame in der Nachbarschaft täglich eine Rose gebracht – im Auftrag eines Verehrers. Leider musste die Mission auf Wunsch der Dame irgendwann abgebrochen werden. Leichter ist das Geschäft mit den Blumen nicht geworden. "Überall, wo sie heute eine Kneipe sehen war früher ein Laden" , erzählt Helga Wiesing. Die Bödekerstraße sei längst keine Laufstraße mehr und auch aus der Straßenbahn guckt seit 20 Jahren niemand mehr ins Schaufenster hinein: Die fährt jetzt wo anders lang. Und doch halten die Wiesing offensichtlich eine Blumenkultur hoch, mit der sie im Osten der Stadt gut ankommen. Dazu gehört auch, dass sie sich immer etwas neues einfallen lassen. "Petite Fleur" heißt die jüngste Idee, die viele Kunden fasziniert, und gemeint sind eckige oder runde Kompaktsträußchen. Auf Wunsch gestaltet der Familienbetrieb auch Sträuße in Pizzaform - flach und bunt - oder als Torte.
Die Chefs
Die Sache mit Chef und Chefin ist bei den Wiesings so eine Sache. Bis 1972 wurde der blumige Reklame-Laden unter den Fittichen von Ilse und Friedrich Wiesing geführt, die bereits 1950 damit begonnen hatten, Auszubildende in das Geschäft einzuführen. Derzeit gibt es neben drei Floristinnen auch drei Azubis im Geschäft. Nach Ilse und Friedrich Wiesing kam die Epoche Helga und Fritz Wiesing, die jetzt allmählich ins Zeitalter Monika Wiesing übergeht. Die 34-jährige Tochter ist seit 1993 Floristenmeisterin und in Kundenkreisen längst gut bekannt. „Wir begleiten sie aber weiterhin“, sagt ihre Mutter nachdrücklich. Wichtig sei für die Kunden einfach, dass einer von den Wiesings im Laden ist – das mache eben das persönliche, familiäre Flair aus.
